Auszubildender Paulino Kirschner schafft ehrenamtlich Präventionsangebote und berät queere Jugendliche und junge Menschen
Über den 3. Platz beim Jugenddiakoniepreis durfte sich in diesem Jahr Paulino Kirschner freuen, der beim Ulmer Kinder- und Jugendhilfeverein Oberlin eine Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher absolviert. Der „MachMit! Award“, der jährlich von der Diakonie Württemberg und dem Württembergischen Evangelischen Jugendwerk vergeben wird, rückt soziales Engagement von jungen Menschen ins öffentliche Licht. Mit seiner ehrenamtlichen Tätigkeit, queere Jugendliche zu beraten und Präventionsangebote für sie zu schaffen, konnte Paulino Kirschner die Jury überzeugen und wurde für sein außergewöhnliches Empowerment bei der kürzlichen Preisverleihung in Stuttgart entsprechend gewürdigt.
Aufmerksam auf den Wettbewerb wurde er durch Oberlins Vorständin Kathrin Modsching sowie seine Bereichsleitung Naomi Fuchs. „Sie wussten, dass ich ehrenamtlich Beratungen anbiete und Workshops halte, die ich auch schon bei Oberlin veranstalten durfte. Also haben sie mich angesprochen, ob ich Interesse hätte, daran teilzunehmen“, erzählt der 24-Jährige. Da die Bewerbung sehr umfangreich und zeitaufwendig ist, sei er anfangs skeptisch gewesen. „Außerdem dachte ich nicht, dass ich dort mithalten kann, nachdem ich die tollen Projekte gesehen habe, die im vergangenen Jahr gewonnen haben“, sagt Paulino Kirschner. Ein Kollege aus der Wohngruppe, in der er arbeitet, habe ihn letztlich aber doch ermutigen können, sich die Zeit zu nehmen und sich zu bewerben.
Ansprechpartner für junge, queere Menschen
Die Themen Queer und Geschlechtsidentität sind ihm aufgrund seiner persönlichen, transsexuellen Geschichte eine echte Herzensangelegenheit. Aus eigener Erfahrung weiß er, wie herausfordernd, belastend und aufwendig für junge Menschen der Weg hin zu ihrer wahren Identität ist, da sie sich beispielsweise mit ihrem biologischen Geschlecht nicht identifizieren können und sich in ihrem eigenen Körper nicht wohlfühlen. „Für diese Personen möchte ich Ansprechpartner sein und ihnen einen Ort geben, wo sie sich beraten lassen können, sich ausprobieren dürfen und nicht verurteilt werden“, erklärt Paulino Kirschner. Ebenso wolle er aber auch die Gesellschaft abholen und Aufklärungsarbeit leisten. Daher ist er mit Workshops und Vorträgen beispielsweise in Schulklassen unterwegs, gibt Ratschläge auf Social Media und engagiert sich auf der Onlineplattform Chancengerechtigkeit & Vielfalt. Auch bei Oberlin bringt der Auszubildende seine große Expertise ein. Vorständin Kathrin Modsching betont: „Wir sind unglaublich froh und stolz, dass wir Paulino in unseren Reihen haben. Wir können viel von ihm lernen und er ist ein äußerst wertvoller Ansprechpartner im gesamten Kollegium.“
Denn auch im Alltag der Jugendhilfe zeigt sich inzwischen, dass betroffene junge Menschen, zunehmend den Mut aufbringen, sich zu queeren Fragen beraten zu lassen. Als Gründe nennt Paulino Kirschner, dass die Toleranz gegenüber queeren Menschen in der Gesellschaft gestiegen ist. Außerdem habe das im November 2024 in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz die Hürden merklich abgebaut. Was im zuvor geltenden Transsexuellengesetz mit aufwändigen Gerichtsverfahren, hohen Kosten, psychologischen Gutachten und viel Zeitaufwand verbunden war, geht nun per Antrag beim Standesamt, günstiger, einfacher und schneller. „Manche Standesämter verlangen, dass vor der Urkundenänderung ein Beratungsgespräch stattfindet – dann können sich Antragsteller auch an mich wenden, damit ich sie über Folgen, Risiken und Auswirkungen aufkläre“, sagt Paulino Kirschner.
Ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch viele weitere müssen folgen
Trotz den bisherigen Fortschritten, die bislang erreicht worden sind, müssen aber weitere Veränderungen folgen. Obwohl die Toleranz gestiegen sei, gibt es laut dem 24-Jährigen nach wie vor viel Hass gegenüber der Community. „Das merke ich auch hin und wieder in meinen Workshops, dass manche sehr radikale Standpunkte vertreten. Da ist ein vernünftiger Diskurs gar nicht erst möglich“, bedauert er. Wichtig für ihn sei, dass beide Seiten Toleranz zeigen und sich bemühen, einander wertzuschätzen. Mithilfe des „MachMit! Awards“ ist für ihn ein weiterer Schritt in die richtige Richtung getan, um queeren Themen in der Gesellschaft einen Raum zu geben.

Eine Zelle in der Justizvollzugsanstalt. (Fotos: nejako.de)